Toscana Therapie (2011)

Karin (Graphikerin) und Gerhard (Akademischer Rat) verbringen ihren Urlaub in der Toscana, im Haus ihres Freundes Dieter (Psychotherapeut). In den Sommernachtstraum platzen ein versoffener Schriftsteller, ein Redakteur des FAZ-Magazins sowie ein In-Fotograf samt seiner lässig-betroffenen Begleiterin. Eine herrliche Bilderbogenkomödie, die deutsche Intellektuelle elegant aufs Korn nimmt. Ein Lehrstück, das uns alle angeht.

(siehe Fischer Verlage)

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Kritiken 2011


Gießener Anzeiger

„Toscana Therapie“  

Gernhardt‘sche Beziehungskiste humorvoll herausgearbeitet


Von Stephan Scholz

„Toscana-Therapie“ im Musenkeller reiht Episödchen an Episödchen – Weitere Aufführungen im November und Dezember Sommer, Sonne und Toskana. Das klingt beim ersten Hören nach purem Urlaubsvergnügen. Doch genau das gönnt Robert Gernhardt seinen Hauptfiguren im Schauspiel „Die Toscana-Therapie“ nicht. Am Samstagabend hatte das Stück in einer Inszenierung von Guy Sagnes im Musenkeller in der Bonifatiuskirche Premiere. Und am Ende gab es viel Applaus für das humorvolle Psychodrama, das auf ein minimalistisches Bühnenbild setzt.

Mehr als zwei Gartentische, eine Handvoll Stühle und reichlich Spirituosen braucht Sagnes nicht, um Gernhardts Ferienatmosphäre auf die Bretter zu bringen. Doch halt, es fehlen noch das permanent klingelnde Telefon, Traktoren und Schreibmaschinengeräusche aus dem Off, die das Gesamtbild abrunden und schnell deutlich machen: Um Entspannung und Erholung geht es bei diesem Ausflug in die Toskana nicht. Im Gegenteil: Der Regisseur schickt seine Hauptfiguren Gerhard, den Dominik Müller humorvoll als vergeistigten und emotionslosen Ehemann spielt, und Gattin Karin – witzig: Annette Filippi als spießige Hausfrau – auf eine Art beziehungstechnischen Spießrutenlauf.

Permanent wird das ohnehin schon entfremdete Miteinander der Ehepartner torpediert. Von Schriftsteller Victor, der sich mit seiner Schreibmaschine im Ferienhäuschen eingenistet hat, und von Michael Müller als lautstark polternder Lebemann. Vom Hippiepärchen Silvia – Hanna Weller herzergreifend naiv und freizügig – und Florian, den Dominik Heinrichs als verträumten Idealisten gibt. Vom Journalisten Bergmann, prosaisch dargestellt von Christian Henkel, vom permanent Traktor fahrenden Danilo (Azad Celik) und von Kontrollanrufer Dieter (Michael Bayer) – die beiden Letztgenannten treten in personam erst zum Ende auf.

Kurzum: Die ohnehin schon zerrüttete Ehe von Gerhard und Karin wird ständig gestört, und es ist teils bedrückend, teils witzig zu sehen, wie sich die beiden immer stärker entfremden. Damit ist die Habenseite des in Episoden gebotenen Psychostücks angesprochen, denn Kulisse und schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles sind durchaus ansprechend. Den Darstellern gelingt es, die Gernhardt‘sche Beziehungskiste humorvoll herauszuarbeiten, allerdings hat diese Kiste selbst ihre Schwächen.

Denn auch die spannendste Beziehungskritik verliert deutlich, wenn sie nicht irgendwann einfach aufhört. Das gilt leider auch im Fall der „Toscana-Therapie“, die Episödchen an Episödchen reiht, auch als der Aha-Moment schon lange durch ist. Fatale Konsequenz: Nach etwa einer Stunde passiert eigentlich nichts Neues mehr und es braucht ordentlich Sitzfleisch, um bis zum Ende durchzuhalten – insgesamt immerhin rund zwei Stunden. Die Hälfte der Handlung hätte es auch getan. Und auch das Ende, das sich Gernhardt bei den Typen der Commedia dell‘arte borgt, ist
reichlich aufgesetzt und will nicht so recht zum Spannungsbogen passen.

Positives und Negatives aufgerechnet lässt sich in der Bilanz jedoch durchaus von einem vergnüglichen Theaterabend sprechen, der vor allem Freunden von derb zotenhaftem Humor mit Kalauer-Einschlag zu empfehlen ist.


Gießener Allgemeine

Sticheleien zwischen Zikaden und Zypressen

Musenkeller-Ensemble zeigt Robert Gernhardts „Die Toscana-Therapie“


»Der Musenkeller in den Gewölben der Bonifatiusgemeinde war am Samstag restlos ausverkauft. Als furioses Kammerspiel feierte „Die Toscana-Therapie“ (1987) Premiere. Es ist das einzige Bühnenstück aus der Feder des Cartoonisten und Satirikers Robert Gernhardt.

Die Eheleute Karin (Illustratorin) und Gerhard (Akademischer Rat) verbringen den Hochsommer im Ferienhaus ihres Freundes Dieter (Psychotherapeut) in der Toscana. In Florenz haben sie den trinkfreudigen Victor kennengelernt, der sich bei ihnen im Feriendomizil einquartiert und seitdem Gerhards Geduld strapaziert. Doch das ist noch nicht alles: Auch Gärtner Danilo bringt durch Traktorlärm die Ferienidylle durcheinander und Karin empfindet selbst die Zikadengesänge als Ruhestörung. Zum erhofft abendlichen Besuch des Freundes Werner Bergmann (Redakteur der FAZ) gesellen sich überraschend mit Silvia und Florian (Fotograf) zwei weitere Gäste hinzu. Dann trifft auch Dieter ein, der dem ganzen Toscana-Spektakel eine unerwartete Wendung gibt.

Gernhardt stellt in seinem Bühnenwerk seine ganze literarische Könnerschaft unter Beweis, und zeichnet eine bittersüße Parabel auf eine Gesellschaf, deren Kommunikation herumflattert wie eine Fahne im Wind: Alle Reden viel, ohne eigentlich zu verstehen, was in den anderen vor sich geht – babylonische Sprachverwirrung zwischen Zikaden und Zypressen. Arena dieser ruhelosen Phrasen- und Schaumschläger-Gesellschaft ist die luftige Terrasse mit Gartenmöbeln und landestypischen Speisen und Getränken. Richtig authentisch ist in der „Toscana-Therapie“ keiner, nicht einmal die verlockende Silvia, die zur emotionalen Spontanität auffordert: „Warum sagt ihr nicht einfach, was ihr meint.“ Dass all die intellektuellen Leckerbissen und intertextuellen Anspielungen des Bühnenstückes ganz unaufdringlich erlebt werden können, ist der wohlüberlegten Regie von Guy Sagnes und dem hoch motivierten Musenkeller-Ensemble zu verdanken. Die Akteure brauchen den Vergleich mit professionellen Ensembles nicht zu scheuen.

Vielleicht am schwersten haben es Karin (Annette Filippi) und Gerhard (Dominik Müller), deren Konflikt bei aller Geschlechterkampfkomik ernst bleiben muss, um die Fallhöhe für die übrigen Figuren nicht zu gefährden. Gerhards Sticheleien, Wortspiele und Witzeskapaden erträgt Karin würdevoll, ohne devot zu sein. Müller hat die Getriebenheit Gerhards in ein nervöses Brillenspiel und ständiges Gehampel übersetzt. Ein beeindruckendes Profil gibt auch Michael Müller dem Literaten Victor, der sich als exzentrischer Schöngeist singend, torkelnd, tanzend und mit rollendem R in die Herzen des Publikum und an die Ränder der sprachlichen Absurdität spielt. Die große Stärke der Inszenierung ist, dass Erhabenes und Erbärmliches, Heiles und Verzerrtes nebeneinander stehen, ohne sich gegenseitig aufzuheben – Theater für Kopf und Bauch. Weitere Vorstellungen finden bis Anfang Dezember jeweils Freitag und Samstag um 20 Uhr statt.