Flagrant Délire (2022)

von Jean-Pierre Martinez
Deutsche Uraufführung am 05.11.2022

Flagrant Délire

Leichen tragen keinen Smoking

Deutsch Musenkeller Theater Ensemble

Wie hängen eine Leiche in einer Sauna und das Plagiat eines Theaterstückes zusammen? Dieser Fall beschäftigt Kommissar Navarrin an seinem letzten Arbeitstag und wächst sich beinahe zu einer handfesten Staatsaffäre aus.
Was für ein Theater…

Information:
Für die abgesagte Aufführung am 09.12.2022 können wir leider keine Ersatzvorstellung anbieten.

Interview 03.11.2022 – Giessener-Anzeiger

Bericht aus der Presse:

Video

Kritiken 2022


Giessener Allgemeine

Schrill, schräg und gefeiert

Das Gießener Musenkeller Theater Ensemble ist zurück auf der Bühne und weiß mit der wenig bekannten Krimikomödie »Flagrant Délire« zu gefallen. Das Stück wird vom Publikum gefeiert. Der Abend ist der Auftakt einer kleinen »Tournee«.


Auch vor Amateurtheatern hatte der die Kultur lahmlegende Virus nicht Halt gemacht und so dauerte es über zwei Jahre bis das Gießener Musenkeller Theater Ensemble wieder seine jährliche Aufführung präsentieren konnte. Jedoch fand die am Samstag vom Publikum gefeierte Premiere nicht wie gewohnt im Keller unter der Bonifatiuskirche statt, da man diesen unzureichend belüften kann. Als Exil und erster Aufführungsort einer kleinen »Tournee«, wie Regisseur Guy Sagnes zur Begrüßung scherzhaft mitteilte, diente der Gemeindesaal der Thomas Morus Kirche.

Kommisar Navarrin und Inspektorin Bordeli wundern sich. © Christian Lugerth

Als Spielvorlage hatte man sich für eine Krimikomödie des hierzulande eher unbekannten Jean-Pierre Martinez entschieden, der, wie man liest, in Frankreich rauf und runter gespielt wird. Titel des Abends »Flagrant Délire«, was sich wohl am ehesten mit »übles Delirium« übersetzen ließe. Da das Stück in der Originalsprache vorlag, hat es der Regisseur eigenhändig übersetzt und den Titel geändert in ein charmanteres »Leichen tragen keinen Smoking«. Und eben diese Leiche ist es, die den letzten Arbeitstag vor der Rente, auf die sich Kommissar Navarrin (kaum aus der Ruhe zu bringen: Michael Müller) eigentlich in aller Ruhe vorbereiten wollte. Vielleicht das ein oder andere Gläschen mit Kollegin Bordeli (dezent dauerbetrunken: Hanna Weller) trinken und sonst den Spind ausräumen.

Doch es kommt anders als gedacht und eine turbulente Situation jagt die andere. Eben noch hat Polizeipräsidentin Delatruffe (abwechselnd tough oder verwirrt: Annette Filippi) den Kranz für den unlängst an einer Muschel erstickten – ein ordentliches Mittagessen ist dem Franzosen heilig! – ehemaligen Mitstreiter in Sachen Ermittlung, Kommissar Ramirez, auf Navarrins Schreibtisch geworfen, da stürmt die junge Conchita – was auf Spanisch »Die kleine Muschel« bedeutet – Ramirez (neu im Ensemble und gekonnt jugendliche Frechheit und Charme mixend: Anny Ambrósio) herein. Sie soll den Rentner in spe sowie ihren verstorbenen Papa ersetzen. Eine junge Frau für zwei gestandene Männer? Nun ja, heißt es, die Frau ist nun mal die Zukunft des Menschen. Oder hat eine finstere Vergangenheit, wie der Auftritt der rotperückten Margerita de Casteljarnac (keine Schrillheit selbstbewusst auslassend: Michael Bayer) beweist. Die Baronin, eigentlich ehemalige Pornodarstellerin, berichtet nun von jener Leiche im Smoking, dummerweise ihr Gatte, den sie in einer mit Sekundenkleber verschlossenen Sauna vorgefunden habe. Vollends schräg wird es, wenn dann ein Theaterschriftsteller die Bühne stürmt (voller Energie und in einer Doppelrolle: Philipp Brenne), von seinem neuesten Stück berichtet, in dem seltsamerweise alle auf der Bühne stehenden Personen vorkommen. Außerdem habe er sein Werk aus Werbezwecken selbst plagiiert, um wenig später dann als besagte Leiche und daraufhin als quicklebendiger, von den Toten auferstandener Gatte über die Bühne zu springen.

Dann gibt es noch einen Kultusminister, der Analphabet ist, einen gerne der Damenwelt nachstellenden Staatsanwalt namens Löschwasser, manche Spur führt noch in die hohe Politik und so beschließt man einhellig am besten keinen Täter zu finden. Was auch gelingt.

Das Publikum verliert ab und an den Faden wie die Schauspieler den Text, was aber hörbar und souverän Christian Teichmann, Soufflage und Mädchen für alles, ausbügelt. Dies alles schmälert in keinster Weise das allgemeine Vergnügen und den Agierenden merkt man an, wie viel Spaß ihnen die ganze Sache bereitet. Am Schluss werden die Gläser erhoben, man stellt fest, dass die Welt ein einziges großes Theaterspiel ist und prostet zu – Wer hat’s erfunden? – dem großen William Shakespeare. Alle gerührt und glücklich.

(Quelle – Giessener Allgemeiner)


Giessener Anzeiger

Springlebendige Komödie

Die Übersetzung aus dem Französischen besorgte die Truppe gleich selbst. Am Samstag hatte mithin die deutsche Uraufführung Premiere. Das zahlreiche Publikum war sehr amüsiert.


Gießen . »Leichen tragen keinen Smoking« heißt vielversprechend die neue Produktion des Theaterensembles Musenkeller. Der Krimiklamauk stammt von Jean-Pierre Martinez, Guy Sagnes inszenierte. Die Übersetzung aus dem Französischen besorgte die Truppe gleich selbst. Am Samstag hatte mithin die deutsche Uraufführung Premiere. Das zahlreiche Publikum war sehr amüsiert.

Krimiklamauk beim Ensemble Musenkeller mit: Michael Müller, Anny Ambrosio und Hanna Weller (v.l.). Foto: Schultz © Schultz

Ihr Domizil tief unter der Bonifatiuskirche ist zu eng für die Anwendung der Hygienevorschriften, so fand man Unterschlupf im Gemeindesaal bei St. Thomas Morus in der Grünberger Straße. Das funktioniert sehr gut, wenn man sich an die komfortable Größe der Räumlichkeiten gewöhnt hat. Der Autor, ein Groß-Krimischreiber verfasste 99 Stücke und zahlreiche TV-Bücher. Bei der Suche nach einem neuen Stück stieß die Truppe auf »Flagrant délire«, das nur auf Französisch vorlag, und kurzerhand übersetzte man es selbst ins Deutsche, ist doch der Regisseur auch Franzose, und fügte ein paar witzige Namen ein. Herausgekommen ist eine springlebendige Krimikomödie – genau das Richtige für das Ensemble nach drei Jahren Pause.

Es beginnt, nach einer kurzen »Tatort«-Titelmusik, mit der nahenden Verabschiedung des Chefermittlers, Kommissar Navarrin (in fließender Bestform: Michael Müller). Seine Kollegin Inspektorin Bordeli, angewiesen auf regelmäßigen Einsatz ihres Flachmanns (Hanna Weller – »Ich trinke nie außerhalb der Dienstzeiten« – mit schönster Routine), haben sich gerade vor der Beerdigung ihres Kollegen Ramirez gedrückt – der erstickte beim Essen an einer Muschel. Sie kriegen einen seltsamen Fall auf den Tisch: ein Mann im Smoking kam in seiner Sauna zu Tode. Zugleich wird seine Tochter (sehr lebendig, etwas dialogunsicher, aber zweifellos ein komisches Talent: Anny Ambrósio), auch eine Kommissarin, als Nachfolgerin Navarrins eingeführt. Sie bezweifelt gleich mal die bisherige Diagnose: Natürlicher Tod des Vaters? Nie!

Polizeipräsidentin Delatruffe (wie immer unbeirrbar, präzise und agil: Annette Filippi) weist die junge Kollegin unbeirrt in ihren Job ein. Sie gibt immer mal wieder ein paar Direktiven aus: keine extravaganten Ermittlungen, sondern klare (Auf-) Lösungen, bitte!

Das trägt alles dramaturgisch etwas auf, lässt aber dennoch gleich einen flüssigen Stil der Dialoge erkennen, die nicht selten zeitaktuelle Bezüge zumindest andeuten.

Außerdem im Spiel sind die Baronin Margerita De Casteljarnac (würzig: Michael Bayer) sowie Dramaturg Franck Masquelier und Henri de Casteljarnac (Doppelrolle für Routinier Philipp Brenne).

Wesentlich ist, dass zum einen die Darsteller das komische szenische Potenzial ihrer Figuren entfalten. Auch die Inszenierung fördert das durch zahllose kleine Einfälle etwa der Körpersprache, wenn Navarrin und Bordeli genüsslich am Schreibtisch ihre halb liegende Arbeitsposition einnehmen: ob die je was aufklären? Oder wie Navarrin das läutende Telefon immer erst anstarrt wie eine Schlange das Kaninchen, um dann mit einem schnellen, mutmaßlich tödlichen Griff den Hörer zu packen – prickelnde absurde Momente. Die Inszenierung pflegt diese schönen Running Gags, sie werden aber nicht übertrieben. Wie Müller zum Beispiel das Geräusch einer Kaffeemaschine verbal täuschend echt imitiert, leider nur zwei Mal, gehört zu den schönsten Perlen des Abends.

Wichtig ist auch die kompetente Gestaltung der kleinen Gesten, wenn Darsteller gerade schweigen. Der Regisseur hat ihnen die Kunst des beredten Blicks sorgsam vermittelt, besonders Ambrosio ist gut darin, ganz zu schweigen von Filippi. So erblickt der Betrachter stets eine lebendige Szene, die nicht allein durch den Dialog getragen wird. Michael Bayer tuntelt im Fummel so albern herum, dass er kaum etwas sagen müsste, um zu unterhalten.

Und der Kommissar spricht gelegentlich wunderschön melodramatisch-bekloppte Sätze wie »Das Blut lügt nicht«, die Michael Müller ihn wunderschön theatralisch und todernst sagen lässt. Außerdem warf der Autor noch diverse bizarre Kleinigkeiten in die Mischung: der Kultusminister ist ein Analphabet, die Gräfin war früher Pornostar, und ab und an schlägt noch eine bissige Bemerkung über die französische Innenpolitik ein.

Ansonsten hat man das TV-Krimiformat gut verstanden und nutzt es kundig, dazu gibt es eine Leiche unter einem Tuch auf einer fahrbaren Bahre (es ist dann der Staatsanwalt), und man bewegt sich vollkommen natürlich im merkwürdigen Geschehen: »Bringen Sie den Staatsanwalt zurück in den Kühlraum«, sagt Navarrin schließlich. Klar, dass der Tote später wieder zum Leben erwacht, aber das wird in diesem unterhaltsamen Gag-Potpourri nur am Rande erwähnt, wie noch ein paar andere Facetten. Etwa ein diffizil, doch verwirrend eingearbeitetes Spiel im Spiel, das damit jongliert, dass im Stück die reale Adresse des Spielorts erwähnt wird. Machen Autoren manchmal, weil sie es können, verursacht jedoch nur vorübergehend Verwirrung, da es zum Glück nicht als Hauptgag vertieft wird.

Fazit: die Kellerkinder aus der Bonifatiuskirche haben ihr Metier nicht verlernt und treten mit viel Schwung und Spiellust wieder auf.

(Quelle – Giessener Anzeiger)